Zwischen Erde und Himmel – grundlos vergnügt
Textildesignerin Sabine Landgraf druckt in ihrem Geschäft PANAMA im Siebdruckverfahren wertvolle Wörter in den persönlich gewünschten Farben auf alte Tischwäsche, Geschirrtücher oder auch Mehlsäcke. So fand ein Geschirrtuch mit Mascha Kalekos Gedicht den Weg in unseren Haushalt – und fiel mir heute Morgen in die Hände:
Sozusagen grundlos vergnügt
Ich freu mich, daß am Himmel Wolken ziehen
Und daß es regnet, hagelt, friert und schneit.
Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit,
Wenn Heckenrosen und Holunder blühen.
– Daß Amseln flöten und daß Immen summen,
Daß Mücken stechen und daß Brummer brummen.
Daß rote Luftballons ins Blaue steigen.
Daß Spatzen schwatzen. Und daß Fische schweigen.
Ich freu mich, daß der Mond am Himmel steht
Und daß die Sonne täglich neu aufgeht.
Daß Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter,
Gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter,
Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn.
Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehn!
Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn.
Ich freue mich vor allem, daß ich bin.
In mir ist alles aufgeräumt und heiter:
Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt.
An solchem Tag erklettert man die Leiter,
Die von der Erde in den Himmel führt.
Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben,
– Weil er sich selber liebt – den Nächsten lieben.
Ich freue mich, daß ich mich an das Schöne
Und an das Wunder niemals ganz gewöhne.
Daß alles so erstaunlich bleibt, und neu!
Ich freu mich, daß ich . . . Daß ich mich freu.
Aus: Mascha Kaléko: In meinen Träumen läutet es Sturm.
© 1977 dtv Verlagsgesellschaft, München.
Das Gedicht zieht mich wieder in seinen Bann.
Es richtet den Blick auf die Fülle und Farbe um mich herum, hinauf, in mich hinein und vom Ich zum Du.
Ich empfinde es als ein Plädoyer: Wenn es mir gelingt, die Perspektive meines Inneren Beobachters einzunehmen, kann ich eine weitere Dimension der Freude erschließen.
Mascha Kalekos Gedicht schickt den inneren Beobachter zunächst ins Äußere, in die Natur, um Freude zu erfahren. Und lässt erahnen, dass es darüber hinaus etwas gibt, für dessen Verstehen es mehr als den Geist braucht.
„Ich freue mich vor allem, dass ich bin!“ Hier begegne ich bewusst mir selbst, freundlich und wohlwollend, heiter und aufgeräumt. Jetzt kann ich mich ent-falten, mich zu meiner vollen Größe strecken, verbunden mit der haltgebenden Erde und gleichzeitig dem, was über uns und unsere Vorstellungskraft hinausweist. In diesem besonderen Moment erlebe ich Stimmigkeit im Blick nach außen und nach innen, kann ich mich und meinen Nächsten lieben.
Was braucht es noch für das vergnügte Leben? Einen staunenden Anfängergeist, ein Leben aus einer Haltung des Nichtwissens. Ein Leben, in dem ich mich immer wieder erstaunt wundern kann. Eine Geisteshaltung, die das Schöne sehen will und sehen kann – und sich darüber grundlos und gründlich freuen.
Das Plädoyer für den inneren Beobachter lese ich aus dem Schluss: „Ich freu mich, dass ich … Dass ich mich freu.“
Die Kunstfertigkeit, sich nicht nur zu freuen, sondern diese Freude auch noch mit Freude beobachten zu können – es ist gleichzeitig die Kunst, die Perspektive eines inneren Beobachters einnehmen zu können. Wem dies gelingt, der erfährt eine höhere Dimension von Freude. Vielleicht ist dies eine Stufe der Himmelsleiter, die in uns angelegt ist?
Jeder von uns kann es (wieder-)erlernen. Und es tut gut.